Jean-Marie Lustiger: Der jüdische Kardinal

Präsident Nicolas Sarkozy unterbrach seinen Urlaub in den Vereinigten Staaten, um an diesem Begräbnis teilzunehmen. Vor 11 Jahren, im August 2007 starb Jean-Marie Lustiger, der frühere Erzbischof von Paris. Ein französischer Kardinal geboren in einer jüdischen Familie aus Będzin in Polen. Einer der bedeutendsten Geistlichen unserer Zeit. Seine Ernennung zum Erzbischof von Paris 1981 hatte Wellen geschlagen. Die „International Herald Tribune“ widmete ihm vier Spalten auf der ersten Seite. Die Entscheidung von Papst Johannes Paul II war eine Provokation. Genauso wie er selbst. "Ich bin ein Kardinal, ein Jude, ein Sohn von Immigranten" – pflegte er über sich zu sagen. 


Die Kardinal Lustiger-Brücke in der Naehe von Notre Dame
Die Kardinal Lustiger-Brücke in der Nähe von Notre Dame

Vertrauter Johannes Pauls II

Der „jüdische Kardinal“ und der polnische Papst waren eng befreundet. Kardinal Lustiger galt als Vertrauter Johannes Pauls II. Und hatte einen grossen Einfluss darauf, was der Papst für die christlich-jüdische Versöhnung tat. Lustiger war überzeugt, dass die wahre Berufung der Juden sei, die Welt im Geiste des Dekalogs zu verändern
L'Académie française und Kardinal Richelieu
L'Académie française und Kardinal Richelieu

Traditionelle oder liberale Kirche?

Er war weder ein Traditionalist noch ein Liberaler. Er vermochte innovative pastorale Lösungen einzuführen, gleichzeitig aber widersetzte er sich entscheidend der Abtreibung. Es war nicht selten, dass die Konservativen ihm Progressivität vorwarfen, und die Liberalen – Konservatismus. Kontroversen weckte er auch wegen seiner Abstammung. Manche Juden warfen ihm vor, „das Judentum verraten zu haben“, und manche Katholiken - „das Judaisieren des Christentums“. 
Die Sorbonne mit ihrer Sonnenuhr-Frankreich
Die Sorbonne mit ihrer Sonnenuhr

"Gottes Wahl"

Die Kathedrale Notre Dame in Paris war voll, immer wenn er seine Predigten hielt. Er sprach oft davon, dass der Mensch sich sowohl für seine Talente wie auch für die Werke der Barmherzigkeit vor Gott verantworten muss. Die polnische Uebersetzerin seines Buches „Le choix de Dieu“ („Gottes Wahl“) fragte ihn einmal, wie der Sinn dieses Titels zu verstehen sei: Dass Gott ihn oder dass er Gott auswählte? Der Kardinal antwortete: Beides.
Die Kathedrale Notre Dame Paris Frankreich
Die Kathedrale Notre Dame

Kaddisch am Grab des Kardinals

Geboren 1926 in Paris, konvertierte er 1940, im besetzten Frankreich, zum Katholizismus. Er studierte am Lycée Montaigne in Paris, dann in Orléans und später an der Sorbonne.  Jean-Marie Lustiger wurde in die Académie française gewählt, 1996 wurde er in den berühmten Saal  sous la Coupole eingeführt. Er betrachtete sich als Sohn des Alten und des Neuen Testaments. Sein Cousin Arno Lustiger, ein deutscher Historiker polnischer Herkunft und Überlebender des Holocaust, sprach am Grab des Kardinals das jüdische Gebet, Kaddisch.  
 
Eine kleine schöne Brücke in der Nähe der Notre Dame-Paris
Eine kleine schöne Brücke in der Nähe der Notre Dame

Aron Jean-Marie Kardinal Lustiger, Erzbischof von Paris

In der Kathedrale Notre-Dame in Paris wurde für ihn eine Gedenktafel angebracht. Kardinal Lustiger verfasste den Text selbst: „Ich bin als Jude geboren. Ich trage den Namen meines Grossvaters väterlicherseits, Aron. Christ geworden durch den Glauben und die Taufe, bin ich doch Jude geblieben, wie es auch die Apostel geblieben sind. Meine heiligen Patrone sind der Hohepriester Aron, der heilige Apostel Johannes, die heilige Maria voll der Gnade. Von Papst Johannes Paul II. zum 139. Erzbischof von Paris ernannt, wurde ich am 27. Februar 1981 in dieser Kathedrale inthronisiert und habe meinen gesamten priesterlichen Dienst hier verrichtet. Wer hier vorbeigeht, möge für mich beten.“ Aron Jean-Marie Kardinal Lustiger, Erzbischof von Paris.

Text und Photos: Maria H. Flückiger 


„Der jüdische Kardinal“  (Le métis de Dieu) - ein französischer Spielfilm

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