Storch statt Adler als polnisches Wappentier

Noch leben in Polen über zehnmal mehr Störche als in Deutschland. Doch die Intensivierung der Landwirtschaft seit dem EU-Beitritt ist eine grosse Gefahr für die Zugvögel. Die Storchenpopulation nimmt seit ein paar Jahren wieder ab, nachdem in den Neunzigerjahren ein grosser Zuwachs gezählt wurde. 



Fot. Wikipedia

Paul Flückiger, Tykocin (2010)

Storchennester soweit das Auge reicht. Sie nisten auf dem Pferdestall, der Birke im Garten des polnischen Landhauses. Im nahen, von einem Sturm gelichteten Wäldchen nisten gleich ein gutes Dutzend Paare, auf einem Baum sind gar drei Nester zu sehen. „Soviele Störche wie heuer hatten wir hier noch nie“, freute sich Bogdan Tyczolowski. 31 Paare nisteten sich im März auf seinem Grundstück ein. Sie haben  62 Jungstörche bekommen. 

Bisher hatten jährlich um die 20 Storchenpaare bei ihm dem Sommer verbracht. „Seit dem EU-Beitritt wird auch bei uns in Polen viel mehr gedüngt als früher, deshalb weichen viele Störche hierhin aus“, erklärt Tyczolowski, der seit ein paar Jahren nur noch biologischen Landbau betreibt. 

„Storchenvater"

Toczylowski führt in vierter Generation einen kleinen Hof im Weiler Kaczorowo unweit des einstigen ostjüdischen Handelsstädtchens Tykocin. In den umliegenden Höfen leben weniger Menschen, als im Sommer Störche gezählt werden. Allein auf Toczylowskis Hof sind es in diesem Sommer fast Hundert, wenn man all jene Jungstörche mitzählt, die noch auf den Nestern herumhüpfen und erst fliegen und jagen lernen. Eine deutsche Umweltorganisation hat Toczylowskis agrotouristischem Landgut in Pentowo vor neun Jahren das Prädikat „Europäisches Storchendorf“ verliehen. 27 Holzplattformen hat die Bauernfamilie inzwischen auf ihrem Land für die Störche errichtet, dazu zwei Beobachtungstürme. Heuer sind diese jedoch unbetretbar, denn auch auf ihren Dächern haben die Störche Nester gebaut. „Eigentlich gehörte der Storch in unser Staatswappen und nicht der Adler“, wirbt Toczylowski. Nicht nur sei der Adler quasi ausgestorben, der Storch sei doch einfach der bessere Sympathieträger.

„Storchenvater“ Toczylowski zählt dieses Jahr allein auf seinem Grundstück mehr Störche als in ganzen westpolnischen Gemeinden nisten. Karten über die Storchenpopulation Polens zeigen, dass die Vögel im Westteil des Landes nur noch entlang der Flussläufe anzutreffen sind. Die meisten Weisstörche findet man heute in den Masuren und entlang der Grenze zu Weissrussland und der Ukraine. Diese Gebiete sind schwach besiedelt, hier ist die Landwirtschaft noch kleinflächig. 


Bei der letzten Storchenzählung im Jahre 2004 wurden in Polen 52500 Storchenpaare gezählt. Das entspricht einem Zuwachs von etwa 25 Prozent in nur zehn Jahren. Weltweit gab es 2004 etwa 200000 Storchenpaare. In Deutschland waren es rund 4500, in Österreich 400 und in der Schweiz 200.




„Jeder vierte Storch ist ein Pole“, sagt Bogdan Toczylowski stolz. In den Magerwiesen und Flussauen rund um seinen Hof finden die 31 Storchenpaare in diesem Jahr wegen der reichlichen Niederschläge im Mai und Juni, die landesweit zum schlimmsten Hochwasser seit 1997 geführt haben, besonders viel Kleingetier und Insekten für ihre Jungen. Toczylowskis Hof liegt nur wenige Hundert Meter vom Flusslauf der Narwa entfernt. In den Flussauen weiden kleinwüchsige Pferde und die so genannte rote Kuh - beides beinahe ausgestorbene polnische Rassen, die den Störchen die Futtersuche erleichtern. „Bauer und Storch bilden eine symbiotische Gemeinschaft“, unterstreichen Ornithologen, die Pentowo besuchen. Verödetes Ackerland gehörten genauso zu den Feinden der Störche wie die intensive Landwirtschaft. Gedüngt wird allerdings es immer mehr. „Seit dem EU-Beitritt verliert Polen jedes Jahr 4-5 Prozent seiner Störche“, klagt Tyczolowski. 

Gefiederte Grenzgänger



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